Ein ausgewachsener Sonnensturm trifft unsere Erde

Am Donnerstag, den 9. Mai 2024, entdeckte ich zufällig auf Webseite von Andreas Möller (www.polarlicht-vorhersage.de) eine konkrete Polarlichtwarnung für die darauf folgenden Nächte. Zu dieser Zeit war die Sonne besonders aktiv und es gab dementsprechend meherere Flares und koronale Masseauswürfe auf der Sonnenoberfläche, welche Materie der Sonne in Richtung Erde schleuderten. Da die Vorhersage recht konkret war, hatte ich vorsorglich über WhatsApp die möglicherweise anstehenden Polarlichter angekündigt. Um vorbereitet zu sein, lud ich meine Kamera samt Stativ in mein Auto, um bei Bedarf möglichts zügig in die Flur hinauszufahren. Im gleichen Zeitraum fand das Internationalen Teleskoptreffen Vogelsberg (ITV) bei Gedern statt, welches ich am darauf folgenden Tag besuchte . Auf dem ITV ergaben sich viele Möglichkeiten, die Sonne im Weißlicht und in Hα zu beobachten. Es gab eine sehr ausgedehnte Sonnenfleckengruppe zu sehen, welche aus dutzenden von Einzelflecken bestand, welche wiederum in einer allumfassenden Penumbra eingebettet waren. Abseits davon waren auch noch einige kleinere Sonnenflecken zu sehen. Zudem gab es eine außerordentlich große Protuberanz zu sehen. Stündlich schaute ich im Internet nach, ob es hinsichtlich der Polarlicht-Vorwarnung Neuigkeiten gab. Für den Fall der Fälle hätte ich auf dem Weg nach hause einen Zwischenstopp eingelegt, um die Polarlichter zu fotografieren. In der darauf folgenden Nacht blieb es jedoch ruhig.

Screenshot: www.polarlicht-vorhersage.de | Andreas Möller

Am Freitag, den 10. Mai,  konnte ich die Sonne von daheim aus mit meinem Sonnenteleskopen beobachten. Noch immer gab es so viel zu Entdecken! Die riesige Protuberanz vom Vortag war noch da und sah inzwischen aus wie ein Dinosaurier bzw. ein Brachiosaurus. Auch sonst ließ sich in Hα einiges entdecken. Einige Filamente schmückten das Antlitz der Sonne. Diverse kleinere Protuberanzen rundeten das Sonnenbild ab. Das Seeing war zwar nicht immer das Beste, jedoch konnte man mit Geduld einige ruhige Phasen erwischen. An diesem Tag wurde die Polarlichtwarnung durch weitere Flare-Meldungen ergänzt. Für mich war klar, dass ich mich in der kommenden Nacht auf die Lauer legen werde und bereitete mich dementsprechend vor. Der Standort zum Fotografieren war Anfangs noch unklar. Schon seit längerem wollte ich Polarlichter mit einem interessanten Vordergrundmotiv ablichten. Schlussendlich habe ich mich wieder für den Standort am Bücholder Kreuz bei Arnstein entschieden. Wie bereits im März 2023, wollte ich die Kamera mittels Fernauslöser automatisch laufen lassen und es mir gleichzeitig im Auto gemütlich machen. Bevor ich losfuhr, habe ich mich nochmal ins Bett gelegt, um mich auszuruhen. Vorsichtshalber habe ich meinen Daunenanzug eingepackt, den ich im Verlauf der Nacht auch gebraucht habe.

Gegen 22:00 Uhr MESZ war ich etwas später als ursprünglich geplanten am Beobachtungsort. Dort habe die Kamera soweit aufgebaut und die ersten Testaufnahmen gemacht. Während dessen, die Parameter waren noch nicht optimal, fiel mit dem bloßen Auge über dem nördlichen Horizont ein helles, horizontal ausgerichtetes Band auf, welches deutlich rot leuchtete (ca. 22:06 MESZ). Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits Polarlichter sehen könnte, da die nautische Dämmerung noch nicht abgeschlossen war. Ich war außer mir, als ich realisiert habe, was ich da gerade sah! Meine Begeisterung und Freude kannte keine Grenzen! Erhofft hatte ich mir von dieser Nacht, dass ich fotografisch zumindest ein deutliches Polarlicht fotografieren könnte. Um so schöner wenn es anders kommt.

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In der Aufregung hatte ich meine Freundin angerufen und sie aus dem Bett gescheucht. Sie war ganz erschrocken, dass ich sie zu der Zeit so aufgeregt angerufen hatte und dachte zuerst mir wäre etwas passiert. Stimmte auch irgendwie. Sie hatte wiederum ihre Eltern und Großeltern aus dem Betten gescheucht. Bei meinen Eltern hatte ich ebenfalls angerufen, worauf hin meine Mutter zum Bücholder Kreuz gefahren ist. Zwischenzeitlich habe ich mit einem Bekannten aus Burghaun telefoniert, während wir gleichzeitig das Polarlicht mit dem bloßen Auge beobachteten. Ihm ging es von der Stimmung her ähnlich wie mir. Alle waren außer sich! Nachdem meine Mutter am Bücholder Kreuz ankam, haben wir zusammen die Polarlichter beobachten können. Zu diesem Zeitpunkt erschien das Polarlicht noch immer deutlich rötlich, wobei dieses die untergehende Mondsichel umrahmte. Die Formen hatte sich inzwischen stark verändert. Es waren im weiteren Verlauf rötliche Flecken am Himmel zu sehen, wobei gelegentlich Beamer beobachtet werden konnten.

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Meine Erwartungen waren nach diesem Auftakt bereits mehr als erfüllt, wobei ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, dass das erst der Anfang war. Die Eindrücke vom rot gefärbten Himmel und den Beamern die ich mit dem bloßen Auge deutlichst sehen konnten, beeindruckten mich sehr.

Nachdem das erste Polarlicht abgeebbt war, war am nördlichen Horizont eine schwache Aufhellung entlang des Horizontes zu sehen. Erst ging ich davon aus, dass es sich hierbei um den letzten Rest der Dämmerung handeln würde. Bei genauerem hinsehen war jedoch erkennbar, dass zwischen dem Horizont und der Aufhellung ein schmaler Streifen dunklen Himmels zu sehen war. Es war also nicht die Dämmerung, sondern gehörte ebenfalls zum Polarlicht. Eine Aufnahme mit der Kamera lieferte letzten Endes für mich den Beweis, wobei dieses nicht rötlich sondern grünlich bis gelblich leuchtete. Von der Bewegung her war es eher statisch, wobei sich im Lauf der Zeit beobachten ließ, wie dieses immer mehr an Höhe gewann. Was die Form betrifft, entwickelte es sich zu einem flachen Bogen, der wie eine Brücke über dem Horizont stand.

Die Ruhe von dem Eintreffen der nächsten Stoßfront

 

Zwischenzeitlich setzte ich via WhatsApp einen weiteren Status ab, mit dem Vermerk, dass die Polarlichter nun auch aus der Nähe von Arnstein aus mit dem bloßen Auge sichtbar sind. Aufgrund der ersten Meldungen in den Medien waren viele Leute in der Nacht unterwegs. Es waren mehr als ein dutzend Autos auf den umliegenden Flurwegen zu sehen. Auch am Bücholder Kreuz gab es einige Polarlichinteressierte. Zu deren Pech waren diese überwiegend da, als das Polarlicht zwischen 23:30 Uhr und 00:15 Uhr gerade ruhiger war. Die Leute kamen mit dem Auto, stiegen aus, sahen aufgrund der fehlenden Dunkeladaption durch Autos und insbesondere deren ständigen Smartphonegebrauchts wenig bis nichts. Manche nutzten ihr Smartphone als eine Art Restlichtverstärker, sodass sie das Polarlicht zumindest auf dem Display betrachten konnten. Ich kam mir vor wie auf einem Konzert, bei dem die Leute permanent damit beschäftigt waren auf deren Smartphones zu starren, anstatt den Blick in den Himmel zu richten. Unzählige Fotos wurden gemacht. Ob in einem Jahr noch jemand anschaut? Ich glaube nicht.
Mit etwas Geduld und Disziplin hätten die Leute deutlich mehr von diesem Ereignis gehabt. Selbst wenn sich die Leute nur eine volle Stunde Zeit genommen hätten und vor allem die ollen Smartphones in der Hosentasche hätten stecken lassen, wäre ihnen ein unvergesslicher Abend geboten worden. Stattdessen sind viele nach nur kurzer Zeit enttäuscht nach hause gefahren, weil sie wenig bis nichts gesehen hatten.

Grafik: Andreas Möller | Daten: SWPC

Gegen 00:30 Uhr MESZ gab es den nächsten Schub. Direkt über dem zuvor genannten Bogen erschienen eine Reihe von Beamern. Das Polarlicht nahm immer mehr Raum am Himmel ein. Das Polarlicht war nun nicht nur am nördlichen Horizont zu sehen, sondern erstrecke sich mit seinen vielen Lichtsäulen von West nach Ost. Die Beamer reihten sich auf wie die Palisaden einer Befestigung. Zeitweise war das Polarlicht im Zenitbereich bzw. über mir sichtbar, wobei es allerdings auch darüber hinaus in ragte. In südliche Richtung waren zwei Wölkchen zu erkennen, welche sich ebenfalls als Polarlicht entpuppt haben. Zu Spitzenzeiten stand das Polarlicht eine Hand breit über dem Skorpion. Absolut Irre! Eine Nach wie im Rausch. Das Polarlicht erhellte neben dem Himmel auch merklich die Landschaft, was sich auch auf die Tierwelt auswirkte. Obwohl es bereits nach Mitternacht war und die astronomische Dämmerung erst gegen 03:00 Uhr einsetzten sollte, war die Nach vollständig mit dem Gesang verschiedener Vögel erfüllt, wie man es eigentlich aus der Zeit kurz vor Sonnenaufgang kennt.

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Gegen 04:00 Uhr morgens begann ich damit, die letzten Aufnahmen zu machen. Noch immer war der Sonnensturm voll im Gange, sodass der Himmel mit Polarlichtern erfüllt war. Zwischen Binsfeld und Retzstadt legte ich noch einen kurzen Halt ein, um das Polarlicht für diese Nacht ein letztes Mal zu sehen.

Meine letze Aufnahme für diese Nacht. Noch immer ist der Sonnensturm voll im Gange, sodass der Himmel weitläufig durch das Polarlicht erhellt ist.

Im Nachhinein betrachtet, handelte es sich hierbei um den stärksten Sonnensturm seit dem 31. Oktober 2003, welcher die Erde traf. Selbst von den Kanarischen Inseln und Puerto Rico aus ließ sich das Polarlicht fotografisch nachweisen. Durch die umfassende Beobachtungen der Sonne mittels Satelliten, ist es mittlerweile möglich halbwegs präzise Vorhersagen zu treffen. Durch das Internet war es wiederum möglich, das breite Teile der Bevölkerung an diesem spektakulärem Himmelsereignis teilnehmen konnten.

Hinsichtlich der Bedingungen hatte ich sehr großes Glück. In dieser Nacht stimmte wirklich alles. Der Himmel war bis auf wenige Wolken klar. Auch war es relativ warm und der Wind hielt sich in Grenzen. Der Mond war an diesem Abend erst drei Tage alt bzw. mit ca. 10% ausgeleuchtet. Dadurch wurde der Himmel nicht sonderlich erhellt, bzw. wurden die Polarlichter nicht überstrahl. Auch wenn es bereits Mai war, so dauerte die Nacht immernoch gute 3,5 Stunden. Da es eine Nacht von Freitag auf Samstag war, konnte ich mir alle Zeit der Welt nehmen, das Polarlicht fotografieren bzw. beobachten zu können.